Radio-Geschichten aus Tettnang und Umgebung

Zur Ausstellung "100 Jahre Rundfunk" im Elektronikmuseum Tettnang sollen nicht nur entsprechend interessante Exponate präsentiert werden, sondern auch alles, was mit dem Radio und Rundfunk zusammenhängt.

Mit einem Aufruf in der lokalen Presse sowie Internetmedien motivierten wir Bürger, ihre Erinnerungen an das Radio beziehungsweise den Rundfunk niederzuschreiben und dem interessierten Publikum zur Verfügung zu stellen.

Die Berichte und Geschichten, die uns daraufhin erreichten, sind hier im folgenden zusammengefasst.
Mit Sicherheit wird dem aufmerksamen Leser die eine oder andere Erzählung so oder in etwa ähnlich nicht unbekannt vorkommen.

Brief Hermann Erb mit Radiogeschichte

Radiogeschichten aus dem Tettnanger Umfeld

Hermann Erb

Die am weitesten zurückreichende Geschichte von Hermann Erb aus Hirschach datiert ins Jahr 1938 zurück (der handschriftliche Brief im Bild stammt von ihm).

In diesem Jahr kaufte sein Vater bei der Firma Bucher in Ettenkirch ein Nora Radio Serenade W68, zum Preis von 230 RM (was heute in etwa 1000 € entspricht).
Die damals fünf- und sechsjährigen Kinder durften an diesem Tag die ganze Nacht Radio hören! Wichtige Sender waren Berlin und Beromünster in der Schweiz.
Während des Krieges war das Hören ausländischer Sender verboten, trotzdem kam der damalige Ortspfarrer, um sich kurz vor Kriegsende über die aktuellen Stellungen der Alliierten zu informieren.
Auch das BBC - Radio mit dem bekannten Pausen-Klopfzeichen wurde empfangen um die deutschsprachigen Nachrichten abzuhören.
Damit kein Ton nach außen drang wurde das Radio so leise eingestellt, dass man direkt vor den Lautsprecher sitzen musste, um noch etwas verstehen zu können.
Nach Kriegsende mussten auf Grund der Abgabenverordnung Fotos, Ferngläser, Fahrräder und auch Radios abgegeben werden.
Auch Erich Kramer berichtet von dem Einzug des Radios im Jahre 1945 durch die französischen Besatzung. Manche Soldaten plünderten auch.
Nur durch den Zufall, dass ein Freund seines Vaters, welcher nach dem KZ-Aufenthalt in Dachau bei Familie Erb wohnte und gut französisch sprach, wurde das Radio nicht mitgenommen.
Gut versteckt hinterm Brennholz wurde es erst wieder aufgestellt, als es wieder möglich war ein solches Gerät zu besitzen.
Dieses Radio ist heute noch bei Hermann Erb und funktioniert auch.

Edmund U.

Weihnachten war auch früher schon Anlass, etwas wertvollere Geschenke zu kaufen.
So berichtet Edmund U. aus Tettnang darüber, dass 1948 der Vater ein neues Radio bei Elektro Gebhard in der Montfortstraße kaufte.
Da der Hof nicht sehr viel abwarf und das Radio nicht wie vereinbart bezahlt werden konnte, kam Herr Gebhard kurzerhand mit seinem Motorrad und nahm das Radio in seinem Rucksack wieder mit.
Erst der Verkauf von zwei Musikinstrumenten ermöglichten dann den endgültigen Kauf des Metz - Radiogerätes, welches dann noch viele weitere Jahre genutzt wurde.

Erich Kramer

Da, wie vorhin erwähnt, Erich Kramer aus Tettnang von dem Einzug des Radios im Jahre 1945 durch die französische Besatzung berichtete, konnte sich sein Vater dann erst 1952 ein Radio der Marke "Braun" auf zwei Raten zu 125.- DM kaufen.
Es empfing Mittel- und Langwelle, war zwar für UKW-Empfang vorbereitet - was jedoch nie zusätzlich eingebaut wurde.
Hauptsender war ebenfalls Radio Beromünster, in welchem täglich um 12.30 Uhr - wie auch in Kriegszeiten - die Nachrichten mit wichtigem Wetterbericht angehört wurden.
Während den ca. 15 Minuten Nachrichten durfte am Mittagstisch kein Wort gesprochen werden, darauf legte der Vater großen Wert.
Sonntagnachmittag war es üblich, dass die ganze Familie das Wunschkonzert von Radio Vorarlberg verfolgte.
Musikalisch durfte vornehmlich nur Blasmusik gehört werden, da der Vater aktiv in der Musikkapelle Kressbronn Tenorhorn spielte.
War niemand anwesend, suchte Erich Kramer heimlich nach damaliger Schlagermusik von Katarina Valente, Vico Torriani, Lale Andersen und so weiter. Sogar eine Hitparade gab es.
Wurde er vom Vater trotzdem überrascht, musste die "exotische Musik" sofort ausgeschaltet werden.
Radiohören war bei nahendem Gewitter mit viel Rauschen und Knacken verbunden, auch mangels richtiger Außenantenne.
Der Radioempfänger hatte ein rundes, grünes Empfangslicht (magisches Auge) von ca. drei bis vier Zentimeter Durchmesser, mit dem der Sender durch Drehen am Empfangsrad optimal eingestellt werden konnte.
Ein schlechter Empfang wurde mit grünem Licht als Spalt - ähnlich einem Katzenauge welches ins grelle Licht schaut - angezeigt.

Gisbert Hoffmann

Anfang der 1950er Jahre wurden von den Jugendlichen verstärkt AFN gehört (American Forces Network), der Soldatensender für die amerikanischen Streitkräfte in Deutschland.
Alles, was aus den USA herüber schwappte, wurde von der Jugend damals begeistert und bereitwillig übernommen, so berichtet Gisbert Hoffmann aus Tettnang.
Seien es Kraftausdrücke, Zigarettenmarken, Filmtitel und natürlich die beliebten "Nietenhosen" sowie Tänze und Musik.
Der damalige Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) wollte die jungen Zuhörer für sich zurückgewinnen, was auch mit dem britischen Radiomoderator Chris Howland gelang.
Seine wöchentliche Sendung erlangte schnell Kultstatus.
Immer Donnerstags erklang die Erkennungsmelodie "Melody Fair von Robert Farnon".
Mit diesen Worten im Musikabspann begann Chris Howland seine Ansage.
Dann stellte "Heinrich Pumpernickel" oder "Mr. Pumpernickel", wie er sich scherzhaft nannte, mit seinem stark englischen Akzent alte und neue Musiktitel vor.
Es war der Beginn der englischsprachigen Schlager in der deutschen Rundfunklandschaft.

Anton Hirschle

Anton Hirschle aus Tettnang erinnert sich an ein ca. 1953 angeschafftes Nordmende (Rigoletto?) Radio.
Es bekam einen prominenten Platz im Wohnzimmer an der Wand, der Schmid vom Ort gestaltete hierfür mit zwei Eisenbügeln den geeigneten Unterbau.
Somit waren die Einschaltknöpfe für die Kinder vorläufig nicht erreichbar.
Das war schon ein Ding: Reden und Musik aus einer Röhre.
Er lief oft – der Radio, wie man sagte.
Man hörte einfach, was gerade gesendet wurde, nach Programmzeitschrift wurde nicht ausgewählt, die hatte man nicht.
Kam Klassik oder Jazz, hieß es "dua au dia Katzenmusik naus".
Blasmusik war der Favorit, auch Wunschkonzerte oder am Sonntagnachmittag Erzählungen und Märchen.
Ebenso Hörspiele und schwäbisches Kabarett von Häberle und Pfleiderer.
Bei den wöchentlichen Predigten mussten alle ganz still sein, damit man jedes Wort verstehen konnte.
Oft hörte man auch hier Radio Beromünster, offensichtlich hatte man auch in der Nachkriegszeit Vertrauen in diesen Sender, aus dem später der Schweizer Sender DRS hervorging.
Er konnte als sehr starker Sender wegen der Schweizer Berge sehr gut im Oberland empfangen werden.
Die Kriegsangst in der Familie war groß, als vom Ungarnaufstand mit dem Einmarsch der sowjetischen Armee im Oktober/November 1956 berichtet wurde.

Theodor Heim

Theodor Heim aus Obereisenbach berichtet, dass während des Krieges die Arbeitsstelle sowie das Wohnhaus seiner Eltern zerstört wurde.
Erst als sein Vater bei der Firma Escher-Wyss in Ravensburg wieder Arbeit fand, konnte er sich 1957 ein Grundig TK 5 (Tonbandgerät) sowie ein Nordmende Tannhäuser Radio leisten.
Bei den Aufnahmen musste man mucksmäuschenstill sein, da als Tonquelle der Zweitlautsprecher­anschluss verwendet wurde.
Der Lautsprecher wirkte dabei wie ein Mikrofon und nahm die Raumgeräusche mit auf.
Mit der nächsten Anschaffung des TK 16 und dem Nordmende Tannhäuser 58 mit Diodenbuchse waren die Aufnahmen störungsfrei.

Wolfgang Riegg

Wolfgang Riegg aus Neu-Ulm erinnert sich, wie Ende der 50er-Jahre die ganze fünfköpfige Familie jede Woche um das Radio geschart war und abends der Serie "Dickie Dick Dickens" entgegen fieberte.
Dem gefährlichsten Mann aus der Chicagoer Unterwelt verlieh der bekannte Schauspieler Carl-Heinz Schroth seine wunderbare und unverwechselbare Stimme.
Effi Marconi, die Freundin dieses sympathischen Gangsters, der die Polizei am laufenden Band narrte, wurde von der ebenfalls sehr bekannten Schauspielerin Marlies Schoenau gesprochen.
Er denkt gerne an die Zeit ohne Fernseh zurück als man mit viel Fantasie gemeinsam versuchte, den handelnden Figuren eine Gestalt und ein Gesicht zu geben.

Als Schüler begleitete Anfang der 60er Jahre die "Mittwochsparty" des SWR 3 [damals SWF3; Anm. der EMTT-Redaktion] seine Hausaufgaben.
In dieser Musiksendung, welche von 15 bis 17 Uhr junge Leute ins Studio einlud, wurde neben Spaß an Musik und Tanz auch über aktuelle Themen diskutiert.

Monika Michelberger

Eine weitere Zuschrift erhielten wir von Monika Michelberger aus Tettnang, bei der immer die Sendung "Autofahrer unterwegs" lief, als sie als Schulmädchen Mittags aus der Schule kam.
Als Jugendliche hörten sie immer mittwochabends ab 20 Uhr bis Mitternacht "vom Telefon zum Mikrofon", da liefen die besten Schlager.

Danksagung

Vielen Dank allen Einsendern für diese kleine historische Zeitreise zurück ins vergangene Jahrhundert, die sicherlich bei den Lesern manch’ angenehme Erinnerung an die eigene Kindheit weckt!

Der Autor

Erich Schoepe ist Schriftführer beim Förderverein des Elektronikmuseums Tettnang e. V. und hat die eingesandten Radiogeschichten zusammengefasst.